GERHARD HOEHME & DELIA JÜRGENS. Like Wolves on the Fold

15. November 2025 bis 24. Januar 2026 ⟶ Galerie

Ausstellungsansicht. Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, Is it me or you #2, 2016/17 / 2021 / 2025, pigmentierter Inkjet-Druck eines Videostills aus dem digitalen Gemälde „is it me or you“, verflochten mit einem Foto des Gemäldes „Offline [Display IV. Stream] auf Papier auf Glas, Farbsublimationsdruck von „something is“ auf Shirt aus 100 % Baumwolle, Farbsublimationsdruck von „spinning portals“ auf Shirt aus 100 % Baumwolle, Energy Shot, Essstäbchen, Plastiktüte, Räucherstäbchen, Sand vom Santa Monica Beach in Los Angeles, 150 x 200 cm, (Detail). Foto: Angelina Kalachenkova

Ausstellungsansicht. Foto: Angelina Kalachenkova

Links: Delia Jürgens, Blank Space, 2016–2017 / 2025, Baumwolle auf Keilrahmen auf Baumwolle, Steine vom Leo Carillo Beach in Malibu, Los Angeles, 115 x 60 cm
Rechts: Delia Jürgens, All this I do for Glory, 2016–2017 / 2021 / 2025, pigmentierter Inkjet-Druck eines Videostills aus dem digitalen Gemälde „is it me or you“ auf Plastikfolienabdruck in Gips auf Baumwolle auf Keilrahmen; Steine vom Leo Carillo Beach in Malibu Los Angeles, 115 x 60 cm. Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, Between Water and Wind #1, 2016-2017 / 2021,

Lack und Acrylfarbe auf pigmentiertem Tintenstrahldruck mit Interferenzmuster auf transparentem Papier, verwoben mit pigmentiertem Tintenstrahldruck mit Druckfehlern eines Standbildes aus dem digitalen Gemälde „is it me or you” auf Papier auf MDF, Aluminium, 40 × 23 × 3 cm, Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, Between Water and Wind #1, 2016–2017/2021, Lack und Acrylfarbe auf pigmentiertem Inkjet-Druck einer Bildschirmstörung auf transparentem Papier, verwoben mit pigmentiertem Inkjet-Druck eines Druckfehlers eines Videostills aus dem digitalen Gemälde „is it me or you“ auf Papier auf MDF, Aluminium, zweiteilig, zusammen 40 x 23 cm (Detail). Foto: Angelina Kalachenkova

Ausstellungsansicht. Foto: Angelina Kalachenkova

Gerhard Hoehme, durchpulst und umpaust (durchblutet und umpaust), 1986, Acrylfarbe auf Leinwand, PE-Schnüre, 240 x 140 cm. Foto: Katrin Rother

Delia Jürgens, With the dark hug of Time, 2016–2017, pigmentierter Inkjet-Druck eines Videostills aus dem digitalen Gemälde „is it me or you“ und Farbe auf Plastikfolienabdruck in Beton auf Leinen auf Keilrahmen, Motte, Steine und Erde aus der alten Düne von Santa Monica, 65 x 35 cm. Foto: Angelina Kalachenkova

Ausstellungsansicht. Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, Like Wolves on the Fold, 2016-2017, Lack und Acrylfarbe auf Papier auf pigmentiertem Inkjet-Druck eines umgekehrten Waldes und Stockfoto eines Fußgängers auf Baumwolle auf Keilrahmen, 70 x 40 cm, Foto: Angelina Kalachenkova

Ausstellungsansicht. Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, CV(DH - Python), 2018, Pigmentierter Tintenstrahldruck eines dekonstruierten Stockfotos von mineralisiertem Gestein auf Transferfolie auf der Oberfläche eines Schlafsacks, 2 Acrylglasplatten, 185 × 120 cm, Foto: Angelina Kalachenkova

Gerhard Hoehme, Feuergott, 1982, Acrylfarbe auf Leinwand, PE Schnüre, 160 x 120 cm

Ausstellungsansicht. Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, in and of itself #1, 2016–2017 / 2025, Plastikfolienabdruck in farbiger Tapetenkleister auf zerrissenem pigmentiertem Inkjet-Druck eines Videostills aus dem digitalen Gemälde „is it me or you“ auf Baumwolle auf Keilrahmen, 2-teilig gesamt 87 x 54,4 cm. Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, CX (DH – Navigation), 2018, Ölfarbe auf pigmentiertem Inkjet-Druck eines dekonstruierten Stockfotos von mineralisiertem Gestein auf Transferfolie auf der Oberfläche eines Schlafsacks, zerbrochenem Telefon, Haargummi, Kompass-Schlüsselanhänger, 2 Glasscheiben, 185 x 120 cm (variabel). Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, Flügelnacht, 2025, Flüssigkreidemarker auf schwarzem Spiegel, 75,5 x 75,5 cm. Gedicht von Paul Celan. Foto: Angelina Kalachenkova

Gerhard Hoehme, Bedrohliche Schatten, 1963/65, Öl auf Leinwand, 160 x 140 cm. Foto: Katrin Rother

Ausstellungsansicht. Foto: Angelina Kalachenkova

Gerhard Hoehme, mori mori, 1985, Acrylfarbe, Leinwand, PVC Fühler, 240 x 120 cm. Foto: Ricky Thieler

Delia Jürgens, Between Water and Wind #2, 2016–2017, Plastikfolienabdruck in Beton, Aluminium, 34 x 26 cm. Foto: Angelina Kalachenkova

Ausstellungsansicht. Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, is it me or you #1-1, 2016, pigmentierter Inkjet-Druck eines Videostills aus dem digitalen Gemälde „is it me or you“ auf Papier in Aluminiumrahmen, 21 x 29,7 cm

Gerhard Hoehme, Damast mit Schattenstuhl, 1968, Acrylfarbe auf Damast, Nylonschnüre, ca. 180 x 150 cm

Ausstellungsansicht. Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, To see more light, 2016–2017/2021, pigmentierter Tintenabdruck eines Videostills aus dem digitalen Gemälde „is it me or you“ und Farbe auf Plastikfolienabdruck in Gips auf Leinen auf Keilrahmen, 70 x 40 cm. Foto: Angelina Kalachenkova

Gerhard Hoehme, Das Peitschenbild, 1977, Acrylfarbe auf Holz, PE-Schnüre, Fotografie, ca. 190 x 200 cm. Foto: Katrin Rother

Ausstellungsansicht. Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, Ohne Titel (Sky - petrified woods), [WORTAUFSCHÜTTUNG], 2016 / 2025, Flüssigkreidemarker auf Glas, Papier, Linoleumfliesen, 108 x 182,5 cm. Gedicht von Paul Celan. Foto: Angelina Kalachenkova

Ausstellungsansicht. Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, Words, 2016–2017, Kohle auf Beton auf pigmentiertem Inkjet-Druck eines Stockfotos von Erde, verwoben mit einem Stockfoto eines Fußgängers auf Papier auf Plastikfolienabdruck in Beton auf Baumwolle auf Keilrahmen, 70 x 40 cm. Foto: Angelina Kalachenkova

Ausstellungsansicht. Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, Is it me or you #2, 2016/2017 / 2021 / 2025, Pigmentierter Inkjet-Druck eines Videostills aus dem digitalen Gemälde „is it me or you“, verwoben mit einem Foto des Gemäldes „Offline [Display IV. Stream] auf Papier auf Glas, Farbsublimationsdruck von „something is“ auf einem Shirt aus 100 % Baumwolle, Farbsublimationsdruck von „spinning portals“ auf einem Shirt aus 100 % Baumwolle, Energy Shot, Essstäbchen, Plastiktüte, Räucherstäbchen, Sand vom Santa Monica Beach in Los Angeles, 150 x 200 cm, Foto: Angelina Kalachenkova

Gerhard Hoehme, Cock-Head der Erich, 1968, Acryl auf Leinwand, Spiegel, 160 x 80 cm. Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, In and of itself #2, 2016 / 2025, Plaster on plastic foil imprint in concrete on cotton on stretcher bar, plastic foil imprint in concrete on cotton on stretcher bar, cotton on stretcher bar

160 x 140 cm, Foto: Angelina Kalachenkova

Delia Jürgens, Spindrift , 2016-2017 / 2021, Graphit auf pigmentiertem Inkjet-Druck eines Stock-Fotos von Marmor, verwoben mit einer Google-Earth-Aufnahme von Bergen, auf Papier auf MDF, 70 x 40 cm. Foto: Angelina Kalachenkova

ERÖFFNUNG
Freitag, 14. November, 18 - 21 Uhr

ARTIST TALK
mit Delia Jürgens
Samstag, 15. November, 14 Uhr

An der Schnittstelle zweier Generationen präsentiert die Ausstellung "Like Wolves on the Fold" die Werke von Gerhard Hoehme, einer zentralen Figur des Deutschen Informel der Nachkriegszeit, und Delia Jürgens, einer jungen Künstlerin, die sich mit Fragen zeitgenössischer Malerei im Informationszeitalter auseinandersetzt.

In ihrer zweiten Ausstellung mit dem Titel "Like Wolves on the Fold" in der Galerie Nothelfer zeigt die in Hannover und Los Angeles lebende Künstlerin Delia Jürgens neue installative Arbeiten, Materialisierungen, Objekte, Fotografien, Gedichte und Auszüge aus ihren Atelier-Tagebüchern.

In ihren Werken verbindet sie industrielle Materialien wie Inkjet-Drucke, unter anderem von Videostandbildern digitaler Malerei, Google Earth-Aufnahmen von Bergen auf Papier auf MDF, Plastikplanen, Schlafsäcke, Beton, Linoleumfliesen und Spiegelfragmente mit Naturstoffen wie Sand, Steinen und Strandfunden aus Malibu und Santa Monica. Dadurch entstehen stoffliche Übergänge zwischen Natur und Künstlichkeit. In diesen Schichtungen befinden sich Einschreibungen – wie Spuren von Flüssigkeiten, Wellen, Faltungen und Rückständen – die das Alltägliche mit Vergänglichkeit, Urbanität und Landschaft verbinden. Zugleich thematisiert sie soziale Kontexte, wie sie in ihren Schwarzweißfotografien von Obdachlosenzelten vor der Skyline von Los Angeles aus der Serie (Fragmented Landscape) "Facades: A morning full of Dust, you’re half inside and half Way out" (2016–2017) sichtbar werden. Auch Objekte wie zerbrochene Handys verweisen darauf, ebenso wie das Verschwinden der 99‑Cent‑Stores in den USA, aus denen Billigprodukte wie ein Kompass-Schlüsselanhänger, ein Energy Shot, ein Haargummi, Räucherstäbchen und Chopsticks in den Installationen stammen.

Im Dialog
Jürgens komplexe Installationen treten in einen vielschichtigen Dialog mit Werken von Gerhard Hoehme aus den 1960er - 1980er Jahren, einem zentralen Vertreter des deutschen Informel. Hoehmes innovative Materialien sind beispielsweise PE-Schnüre, die teilweise bis auf den Boden reichen, wie im "Peitschenbild" (1977), mit Acrylfarbe auf Leinwand. Der Künstler setzt die Verwendung scheinbar banaler industrieller Produkte seit den 1950er Jahren als künstlerisches Mittel ein, um die traditionellen Grenzen des Tafelbildes aufzulösen und den Bildraum in den physischen Raum der Betrachter:innen zu erweitern. Die aus der Leinwand hervortretenden Schnüre fungieren als skulpturale Elemente, die das zweidimensionale Gemälde in einen dreidimensionalen Erfahrungsraum verwandeln. Zugleich übernehmen sie eine strukturelle Funktion: Sie erscheinen als materielle Fortsetzung der gemalten Linien, wodurch eine rhythmisch-dynamische Verschränkung von Fläche und Raum entsteht, die gleichzeitig den direkten Dialog mit den Betrachter:innen sucht.

Philosophisch fundiert ist dieses Denken in der heraklitischen Idee des beständigen Flusses und der Verbundenheit aller Dinge. Wenn Hoehme die Schnur in seinem Manifest "Beziehungen" aus 1967 als "plastische Form des heraklitischen Denkens" bezeichnet, deutet er sie als Symbol permanenter Transformation und relationaler Einheit. Die PE-Schnur ist damit nicht lediglich ein Material, sondern ein Medium eines metaphysischen Prinzips: Sie öffnet das Bild zu einem Feld lebendiger Beziehungen zwischen Materie, Raum, Bewegung und Betrachter:in.

Paarungen und Verdichtungen

Der Ausstellungstitel "Like Wolves on the Fold" verweist auf ein gleichnamiges Kompositionswerk des avantgardistischen Saxophonisten Colin Stetson und ist gleichzeitig die Inspirationsquelle und Titelgeber für eine Arbeit von Jürgens. Die dichten, pulsierenden Klangschichten dieses Musikstücks

reflektieren eindrucksvoll die atmosphärische Dimension, in der die Werke von Jürgens und Hoehme miteinander in einen vielschichtigen Dialog treten. Die Exponate sind zumeist in bewusster Nähe zueinander gesetzt, wodurch sich Verdichtungen durch Paarungen und Spannungsfelder ergeben.

Der Zwischenraum fungiert dabei zugleich als Spalt und Falte, der die Werke in ihrer Differenzierung trennt, aber auch verbindet.

Äußeres_Tag und Nacht
Zwei Bereiche gliedern die Ausstellung in einen Bereich "Nacht", mit dunklen und kräftigen Farbarbeiten wie Hoehmes "Bedrohliche Schatten" (1963), "Feuergott"(1982) und mori mori"(1985), sowie Arbeiten von Jürgens, "in and of itself #1"(2016–2017), zwei Schlafsack-Installationen und einer Materialisierung von Paul Celans Gedicht "Flügelnacht" (2016–2017), die für die Nacht und das Unbewusste stehen.

Im Bereich "Tag" bilden Arbeiten von Hoehme wie "Cock-Head der Erich" (1968) und Jürgens’

"in and of itself #2" (2016–2017) ein Pendant. Ergänzt wird dieser Bereich durch Betonarbeiten von Jürgens wie "Like Wolves on the Fold" (2016–2017), "With the dark hug of Time" (2016–2017), "Spindrift" (2016–2017) und "In and of itself #5" (2016–2017).

Die Unterteilung in die Bereiche Tag und Nacht eröffnet eine doppelte Perspektive, die das binäre Konzept von Tag und Nacht sowohl auf materieller Ebene (Licht, Farbe, Oberfläche) als auch auf geistiger Ebene (Erkenntnis, Transzendenz) verhandelt. Hoehme setzt das Tageslicht in seinen Arbeiten als sichtbare, lebendige Präsenz ins Bild, ausgedrückt durch Materialien wie die farbigen

PE-Kunststoffschnüre und Schattenverfärbungen auf Stoffen, etwa in der Arbeit "Damast mit Schattenstuhl"(1967).

Jürgens wiederum thematisiert in ihren zeitgenössischen Werken die Dualität von Sichtbarkeit und Verdeckung durch die Überlagerung von transluzenten und opaken Materialien.

Im Rekurs auf Novalis, den Delia Jürgens zum Tag/Nacht Konzept der Ausstellung zitiert, wird der Tag als Zustand der sinnlich erfahrbaren Gegenwart betrachtet, in dem Licht als Medium der Sichtbarkeit - wie das Sonnenlicht gleichsam den Beton erhellt - und Metapher des Bewusstseins aufgenommen ist. Die Nacht wird hingegen als Sphäre der Innerlichkeit und Vergeistigung verstanden, die in der äußeren Wahrnehmung in eine Intuition des Unsichtbaren übergeht. Der von Novalis formulierte Gedanke – Dunkelheit als Lichtquelle – bildet hier einen zentralen Bezugspunkt.

Dieser Spannungsbogen zwischen Tag und Nacht spiegelt sich in der Ausstellung als Dialog sowohl zwischen den Arbeiten als auch den Künstlergenerationen, zwischen Informel und zeitgenössischer Kunst, wider.

Inneres_ Drei Gedichte von Paul Celan
Ein verbindendes Element der Ausstellung bilden drei Gedichte von Paul Celan (1920-1970), aus dessen Werk Jürgens die Gedichte "Flügelnacht" (1954/55), "Wortaufschüttung" (ca. 1963) und "Angewintertes" (späte 1960er) aus Hoehmes Katalog "Gerhard Hoehme Bilder – Objekte. Paul Celan Gedichte" (1986) ausgewählt hat. Diese materialisiert die Künstlerin, indem sie jeweils handschriftliche Notationen der Gedichte auf Glas setzt.

Jürgens’ künstlerische Strategien zeichnen sich durch die Schichtung verschiedener Materialien aus, die bewusst aufeinandergesetzt werden, um neue, vielschichtige Realitätsebenen zu erzeugen.

Das Durchscheinende dieser Schichtungen, etwa in Form von Lufteinschlüssen oder transparenten Materialien, schafft eine auratische Tiefe, die über das Sichtbare hinausweist. Das zeitweilige Verpacken von Arbeiten in Plastik erzeugt reflektierende Oberflächen, die das Ineinandergreifen von Materialien und deren Spiegelung sichtbar machen. Zudem staucht, streckt, verdichtet und dehnt sie ihre Materialien und Formate und integriert ihre Variabilität als künstlerische Strategie: Die Arbeit "With the dark hug of Time" (2016-1017) beispielsweise ist eine Stauchung der ursprünglichen Arbeit, welche in der Kestnergesellschaft und im ZKM gezeigt wurde.

Diese Praxis steht in produktivem Austausch mit den Arbeiten Gerhard Hoehmes, dessen Werk ebenfalls von Materialschichtungen geprägt ist und räumliche Tiefe sowie komplexe Oberflächenstrukturen schafft. Hoehmes künstlerische Auseinandersetzung mit Paul Celans Lyrik reflektiert sprachlich ähnliche Prozesse des Schichtens und Einschreibens von Bedeutung.
So verbindet sich bei Jürgens, Hoehme und Celan eine Ästhetik der Mehrschichtigkeit, in der das Sichtbare und das Unsichtbare, das Materielle und das Imaginäre ein komplexes Zusammenspiel eingehen.

Die bildsprachliche Prägnanz und existenzielle Tiefe von Paul Celans Lyrik spiegeln sich ebenso in Jürgens wie in Hoehmes künstlerischer Praxis wider, die Themen wie Vergänglichkeit, Fragment, Verdichtung, Streckung, Neuanfang und nomadisches Sein in unterschiedlichen medialen Formen verhandeln.

Naturraum – Stadtraum_psychologischer Resonanzraum

Viele von Jürgens Arbeiten sind aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu Downtown Los Angeles entstanden, einem Ort, an dem Spuren von Leben und Verfall auf den Straßen sichtbar sind.

Der Blick aus dem Atelierfenster in LA ist hier ebenso gegenwärtig wie das Staubige, das Schwebende – das sich Auflösende zwischen Innen und Außen. Architekturfragmente, Oberflächen und atmosphärische Schichten verschmelzen zu einer poetischen Reflexion über das Verhältnis von Sichtbarkeit, Abwesenheit und Erinnerung.

Häufig verwendet die Künstlerin das Motiv des Waldes als Sinnbild für Unberührtheit, aber auch als Raum des Übergangs, in dem Zerfall untrennbar mit Erneuerung verbunden ist. In diesem Sinne erscheint der Wald nicht nur als Naturraum, sondern als psychologischer Resonanzraum: Symbol des Unbewussten und einer Bewegung nach innen. Der Zyklus von Werden und Vergehen, Wachstum und Auflösung verbindet die Sinnbilder von Wald und Stadtlandschaft zu einem gemeinsamen semantischen Raum – zwischen Fragment und Kontinuität, zwischen materieller Spur und innerer Erfahrung.

Delia Jürgens und Gerhard Hoehme verbindet in ihrer Zeit die experimentelle Nutzung industrieller Materialien zur Erweiterung der künstlerischen Medien. Beide integrieren künstliche Werkstoffe, um die traditionelle Zweidimensionalität aufzubrechen und Raum sowie Interaktion mit den Betrachter:innen einzubeziehen. Hoehmes Verwendung von PE-Schnüren symbolisiert heraklitische Fluss- und Beziehungsprinzipien, während Jürgens Materialien wie digitale Elemente nutzt, um physische und virtuelle Wirklichkeiten zu verschmelzen. Gemeinsam reflektieren sie mit ihren Materialien Wandel, Vernetzung und eine erweiterte Bildwelt.

Ein Gedichtband von Delia Jürgens und Auszüge aus ihrem Ateliertagebuch liegen zur Ausstellung aus.

Delia Jürgens, geboren 1986 in Hannover, ist eine deutsche Malerin und Installationskünstlerin, die zwischen Hannover und Los Angeles lebt. Sie erhielt 2018 den renommierten Sprengel-Preis für Bildende Kunst der Niedersächsischen Sparkassenstiftung. Zu ihren wichtigsten Ausstellungen zählen Präsentationen im Sprengel Museum Hannover, ZKM Karlsruhe, Kestner Gesellschaft Hannover sowie internationale Ausstellungen in Los Angeles und Wien. Sie erhielt zudem Arbeitsstipendien des Landes Niedersachsen (2016) und der Stiftung Kunstfonds (2019), sowie das Projektstipendium Neustart Kultur – Innovative Kunstprojekte der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (2022).

Gerhard Hoehme (1920–1989) war ein bedeutender Vertreter des deutschen Informel. Zu seinen wichtigsten Auszeichnungen zählen der Villa-Massimo-Preis in Rom (1960), der Marzotto-Preis für europäische Malerei in Vicenza (1962) und der Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen (1957). Er zeigte seine Werke unter anderem auf der documenta II in Kassel (1959) und hatte bedeutende Ausstellungen u.a. im Museum Küppersmühle in Duisburg sowie im Museum Kunstpalast Düsseldorf. Als Professor an der Kunstakademie Düsseldorf prägte er zahlreiche Schüler:innen und die Entwicklung der abstrakten Nachkriegskunst in Deutschland maßgeblich.

(Text: Heike Fuhlbrügge)